„Ich fühle mich manchmal besiegt“

Was ist aus dem multikulturellen Traumort geworden, den Zadie Smith so meisterhaft in ihren Büchern beschrieb? Ein Gespräch über das Leben in Zeiten des Nationa­lismus – und über den Preis, den soziale Aufsteiger wie sie zahlen müssen

Erschienen am 13.10.2017 im SZ Magazin (Foto: Jackie Nickerson)

Zadie Smith sitzt versunken auf einer roten Ledercouch. Wir treffen uns beim Italiener im Erdgeschoss des Soho House in Berlin. 45 Minuten Interview, das erste von vielen an diesem Nachmittag, am Abend wird sie auf einer Lesung ihren fünften Roman Swing Timevorstellen. Smiths Laune schwankt zwischen schwermütig und fahrig. Ihr Kopf ist gebeugt, der Turban, ihr Markenzeichen, sieht aus, als würde er einen Schatten über das Gesicht werfen. Vorgestern hat Smith mit ihrem Bruder in London dessen 40. Geburtstag gefeiert, morgen geht es zurück nach New York. Vor dem Interview hat sie auf ihrem Hotelzimmer die Fernsehnachrichten geschaut: 59 Tote in Las Vegas, der IS schickt ein zweifelhaftes Bekenntnis, das sich später als Fake herausstellt. Trump lässt ausrichten: nicht der Moment, um über Waffengesetze zu diskutieren.

Es sind verstörende Zeiten für eine Autorin, deren frühe Welterfolge vom zwar nicht leichten, aber doch irgendwie selbstverständlich funktionierenden Neben- und Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Weltanschauungen handelten. Quasi über Nacht wurde Zadie Smith, Tochter eines weißen Briten und einer schwarzen Jamaikanerin, im Jahr 2000 mit ihrem Debüt Zähne zeigen zum literarischen Superstar. Smith war 24 und auf einmal die glamouröse Klassensprecherin von Multikulti-London, jung, schwarz, wunderschön, eine Rolle, gegen die sie immer wieder vergeblich protestierte.

Die Leichtigkeit ihrer frühen Romane ist in Swing Time einem nüchterneren, schonungsloseren Ton gewichen. Hautfarbe, soziale Herkunft, Ruhm, Freundschaft und Konkurrenz sind die Themen, um die es in Smiths neuem Buch geht. Wie viele ihrer vorherigen Geschichten spielt Swing Time im Nordlondoner Arbeiterstadtteil Kilburn, wo die Schriftstellerin aufgewachsen ist und Menschen unterschiedlichster Herkünfte aufeinandertreffen. In einem Essay, den Smith kurz nach Barack Obamas Wahlsieg veröffentlichte, bezeichnete sie den Schauplatz ihrer Romane als »Dream City«. Erste Frage: Was ist aus der multikulturellen Selbstverständlichkeit geworden, die sie so oft beschrieben hat?

Smith antwortet mit der Andeutung eines genervten Augenrollens. Sie hadert mit der Gegenwart. Nicht bloß mit Trump und Brexit, sondern auch mit der immer hektischeren Kommentarkultur und den Erwartungen, die man in diesen Zeiten an eine schwarze Autorin stellt: »Ich verstehe nicht, warum jemand wie ich exklusive Einblicke in das Chaos unserer Welt haben soll«, sagt sie. Die meisten Schriftsteller seien ohnehin »politisch dumme« Menschen: »Du verbringst Jahre in Isolation damit, einen Roman zu schreiben, beschäftigst dich mit etwas, das nicht real ist. Du brauchst nicht mal viel Wissen dazu.«

Smith erzählt von den Debatten in ihrem New Yorker Freundeskreis: Steht jede und jeder schwarze Intellektuelle qua Hautfarbe in der Pflicht, Widerstand gegen Trump zu leisten? Smith ist unentschieden. »Ich bin niemand für die großen Reden«, sagt sie, sie brauche lange, bis sie einen Gedanken fasse. Je chaotischer die Welt draußen, desto wichtiger ist es für sie, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren – und auf ihre Familie, Smith hat zwei Kinder mit dem deutlich weniger erfolgreichen Schriftsteller Nick Laird. Im Interview verrät sie auch, wann ihr Partner unter ihrer Prominenz zu leiden hat, wie die Kinder ihren Arbeitsrhythmus verändert haben (»Ich habe keine Zeit mehr für Schreibkrisen«), welche Eigenart von Autoren Nicht-Schriftsteller kaum aushalten würden und was geschah, als sie ihre Tochter in einer übel beleumundeten Schule in jener Gegend von London anmeldete, wo sie einst selber aufwuchs.

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