Die reine Hölle

Während Bomben und Raketen auf die syrische Stadt Aleppo niedergehen, produzieren einige Bewohner dort weiter eines der ältesten Naturprodukte der Welt: Aleppo-Seife

Wie viele Menschen leben noch in Aleppo? Gut zwei Millionen waren es vor dem Krieg. Jetzt, im sechsten Jahr des Krieges: Vielleicht 300 000 im umzingelten Osten der Stadt, schätzt die UNO, vielleicht 1,1 Millionen in den westlichen Assad-Vierteln. Genau weiß es niemand. Ausländische Journalisten kommen kaum in die Stadt, Hilfskonvois auch nur schwer. Wer nach Lebenszeichen aus Aleppo sucht, kann mit Flüchtlingen sprechen, Social-Media-Kampagnen wie #AleppoisBurning folgen oder übermüdete Helfer anrufen. Man wird aber auch an unerwarteten Orten fündig. In den Regalen eines kleinen Seifengeschäfts in Rosenberg zum Beispiel, einer grünbürgerlichen Altbaugegend in Stuttgart: Das Lebenszeichen ist handgemacht, petrolgrün, riecht nach Lorbeer und kostet 3,50 oder 4,90 Euro das Stück, je nach Größe und Duftnote, ob mit Jasmin, Honig oder Schwarzkümmel. Aleppo-Seife ist eines der ältes ten Naturprodukte der Welt, vor mehr als 2000 Jahren wurde in Syrien die Herstellung fester Seife erfunden. Und noch immer harren Fabrikanten in der umkämpften Stadt aus, die Seife nach Deutschland und in andere Ecken der Welt exportieren.

Jemand wie Ghaleb Chite, 49 Jahre alt, rauchige, belegte Stimme am Telefon. »Seit Jahren habe ich nicht mehr gelacht«, sagt er. Aber er macht weiter Seife. Chite war ein lebenslustiger Mann, wird sein Neffe in Dortmund später erzählen. Ein leidenschaftlicher Schachspieler und Pink-Floyd-Fan, einer, der spontan mit seiner Frau zum Mittagessen in die Türkei fuhr und öfter eine halbe Zigarettenpackung zu viel am Tag rauchte.

An die 200 traditionelle Seifenbetriebe hat es früher in Aleppo gegeben. Von November bis März waren die Mauergewölbe der Stadt vom Dampf des Oliven- und Lorbeeröls erfüllt, das in meterhohen Siedekesseln erhitzt wurde. Zehntausende Tonnen wurden jährlich in die Welt verschifft, mit dem Trend zur Bio-Kosmetik wuchs die Nachfrage bis nach Japan, Taiwan und Australien. Dann begann der Bürgerkrieg. Fabriken wurden zerbombt, Traditionsunternehmen ausgelöscht. Viele Produzenten starben, andere flüchteten nach Europa oder verlegten ihre Produktion in den Libanon, in die Türkei, nach Jordanien oder Ägypten. Ein Großteil der Seifen, die in Deutschland und anderswo mit »Made in Aleppo« beworben werden, stammen inzwischen von Siedereien im ruhigeren Umland. In der Stadt selbst haben von jenen 200 Betrieben vielleicht zehn überlebt. Man erreicht Ghaleb Chite unter einer Festnetznummer in einem provisorischen Büro. Immer wieder reißt die Verbindung ab, abgesehen davon hört man ihn überraschend klar. Es ist Anfang März 2016, das erste Telefonat von vielen, Mittagspause im Westen Aleppos. Assad-Gebiet. Offiziell gilt seit Mitte Februar die Waffenruhe, trotzdem wird einige Kilometer weiter geschossen. Seine Firma sei im Erdgeschoss eines Wohnhauses untergekommen, erzählt Chite. Er produziere nun auf 200 Quadratmetern statt wie früher auf 4000, mit zwölf statt vormals 85 Mitarbeitern. Chite macht Seife in siebter Generation, das ehemalige Werk war wenige hundert Meter von der berühmten Stadtzitadelle entfernt, die heute in Trümmern liegt, direkt hinter der Frontlinie. Die Seifen seiner Familie seien ein aleppinisches Vorzeigeprodukt gewesen.

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